Missbrauchsskandal in Homburg AKK: „Ich habe keine Kenntnis erhalten“

Saarbrücken · CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat das Universitätsklinikum des Saarlandes für seinen Umgang mit dem Missbrauchsskandal kritisiert. Sie habe viel zu spät davon erfahren.

 Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), ehemalige saarländische Wissenschaftsministerin, sagte im Untersuchungsausschuss zu den Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch am Universitätsklinikum des Saarlandes aus.

Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), ehemalige saarländische Wissenschaftsministerin, sagte im Untersuchungsausschuss zu den Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch am Universitätsklinikum des Saarlandes aus.

Foto: BeckerBredel

Wann wusste die saarländische Staatskanzlei vom mutmaßlichen Missbrauchsskandal an der Kinderpsychiatrie der Homburger Universitätsklinik (UKS)? Der Antwort auf diese Frage wollte der parlamentarische Untersuchungsausschuss in Saarbrücken gestern in seiner zehnten Sitzung näher kommen. Dazu hatte er Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) geladen. Sie war von 2011 bis 2018 Ministerpräsidentin und Wissenschaftsministerin des Saarlandes. Weiterer Gast im Ausschuss: der ehemalige Chef der Staatskanzlei, Jürgen Lennartz (CDU). Sowohl Lennartz als auch Kramp-Karrenbauer blieben bei ihrer Darstellung, dass sie erst an Ostern 2019 vom vermeintlichen Missbrauchsskandal erfahren haben. Reichlich spät: Die Vorfälle in der Klinik fanden vermutlich zwischen 2010 und 2014 statt. Ein 2016 verstorbener Arzt soll Jungs bei Untersuchungen missbraucht haben. Nach seinem Tod hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn eingestellt. Erst im Sommer 2019 wurden Eltern informiert, dass ihre Kinder eventuell betroffen seien.

„Es war sicher ein Fehler, dass das UKS uns die Infos über den Fall nicht weitergegeben hat“, sagte Kramp-Karrenbauer. Sie „bedauere sehr“, dass sie „zu dem Zeitpunkt, als die Dinge virulent waren, keine Kenntnis erhalten habe“. Wenn sie Infos gehabt hätte, hätte sie „sofort alles in die Wege geleitet, um in aller Härte durchzugreifen“. Lennartz, heute in Ruhestand, habe Kramp-Karrenbauer am 19. April 2019 „in einem persönlichen Gespräch informiert“. Er selbst habe auch erst „einen Tag zuvor davon erfahren“. Danach habe die Staatskanzlei sofort alles Mögliche und Nötige eingeleitet, um den „Sachverhalt aufzuarbeiten“, wie Lennartz erklärte. Auch der 63-Jährige zeigte wenig Verständnis dafür, dass die Klinikleitung ihn Ende 2014 nicht informiert habe. Und das obwohl Lennartz Aufsichtsratschef der Klinik war. „Ich habe davon berichtet bekommen, wenn es Ratten im Keller der Uni gab“, erklärt Lennartz. Über den Missbrauch angeblich nicht.

Komplett unter den Teppich gekehrt hat die Klinik den Fall nicht. Sie habe damals die Staatsanwaltschaft und die Ärztekammer informiert. Und habe gedacht, damit genug getan zu haben, erklärte Lennartz. Dass es weitere Richtlinien gibt, die sie verpflichten, solche Fälle der Landesregierung zu melden, habe sie nicht wahrgenommen. Ein Fehlverhalten.

Nun gibt es Menschen, die diese Darstellung anzweifeln. Die Landesregierung habe bereits früher davon gewusst. Dem SR liegen handschriftliche Notizen über ein Gespräch zwischen Vertretern der Uniklinik und der Ärztekammer aus dem Jahr 2014 vor. Demnach soll der Justitiar der Ärztekammer Martin Partzsch mit Gesundheitsstaatssekretär Stephan Kolling (CDU) über den Fall gesprochen haben. Wer die Notizen gemacht hat, ist unklar. Darüber hinaus sagte ein Zeuge, ein ehemaliger Oberarzt, am Freitag im Ausschuss aus, dass er gehört habe, dass die Landesregierung bereits 2014 informiert worden sei.

Dass Kramp-Karrenbauer und Lennartz erst im April 2019 von der fristlosen Kündigung des Arztes, vom Missbrauch und den Ermittlungen erfahren haben wollen, „wirkt doch sehr fraglich“, sagte Ausschussmitglied Dennis Lander von den Linken. Er erklärte dazu: „Es ist kaum anzunehmen, dass ein Oberarzt so etwas einfach frei erfindet. Dagegen sei es „schon eher vorstellbar“, dass Kramp-Karrenbauer und Lennartz „sich nicht mehr an bestimmte Informationsflüsse erinnern wollen. Zumal es ja auch mehrere verschiedene Aufzeichnungen eines Gesprächs zwischen Uniklinik und Ärztekammer gibt, aus denen übereinstimmend hervorgeht, dass der Staatssekretär Gesundheit 2014 informiert worden sein soll“. Auch Ausschussmitglied Rudolf Müller (AfD) zweifelt daran, „dass das so der Wahrheit entspricht“, was Lennartz und Kramp-Karrenbauer berichteten. Kolling dementierte am Freitag, dass er 2014 davon erfahren hat. „An der Besprechung der UKS und der Ärztekammer war das Ministerium nicht beteiligt und auch nicht geladen. Auch gab es keine Information an das Ministerium nach der Sitzung“, schreibt er in einer Stellungnahme.

Auch die SPD im Ausschuss sieht Hinweise darauf, dass die Landesregierung schon vorher Bescheid gewusst haben könnte: Eine Telefonnotiz von Anfang Dezember 2014, in der steht, dass man den Staatssekretär Kolling informieren will, zwei weitere Notizen vom 17. Dezember 2014, dass Kolling informiert worden sei (wir berichteten). „Das werden wir allen Beteuerungen zum Trotz am 17. März erörtern“, sagte Jürgen Renner von der SPD. Dann ist Kolling zu Gast im Ausschuss.

CDU-Ausschussmitglied Jutta Schmitt-Lang fand die Ausführungen von Karrenbauer und Lennartz „definitiv glaubwürdig. Man hat gemerkt, dass Annegret Kramp-Karrenbauer  von den Vorwürfen persönlich schockiert war. Für uns gibt es keinen Grund, zu zweifeln, dass sie die Wahrheit sagt.“ Ob die Klinikleitung Konsequenzen zu befürchten habe? „Konsequenzen werden dann gezogen, wenn wir mit dem Ausschuss fertig sind.“ Diese Konsequenzen hätten laut Linke schon früher gezogen werden müssen: „Es bleibt erstaunlich, dass die Regierung bis heute, abgesehen von einem Disziplinarverfahren gegen den Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie, keinerlei Konsequenzen aus dem fehlenden Informationsfluss in Uniklinik und Landesregierung gezogen hat“, stellt Lander fest.

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